Es war irgendwann in den fünfziger Jahren. Das Wirtschaftswunder rollte gerade über Deutschland hinweg, Buttercremetorten waren der Stolz der Hausfrau und die Werbung suggerierte ein harmonisches Lebensgefühl. Im Rollenbild in der Familie war die Frau die Hausfrau, die sich nur noch zwischen Persil und Omo entscheiden musste. Das HB-Männchen ging regelmäßig in die Luft und Dr. Oetker und Maggiwürze war der Freund der Hausfrau.
Doch es gab auch Ausnahmen: Wenn meine Mutter kochte, wurde es exotisch. Sie kochte eigentlich nie, die Küche war das Reich der Großmutter. Doch wenn meine Mutter kochte, wurde die Familie belehrt und die weite Welt kam auf den Teller. Ich kann mich noch an die „Japan Phase“ erinnern. Ganz ehrlich, das war alles andere als Japanisch. Und dann der Abend, als die Kulinarik des Ostens entdeckt wurde. Das war in den Fünfzigern gar nicht so einfach: war doch alles, was östlich des Eisernen Vorhangs auf den Tisch kam, eigentlich nicht genießbar. Aber meine Mutter hatte Schaschlik entdeckt, oder genauer gesagt, die westdeutsche Variante davon. Bei uns kam Schaschlik aus „Ungarn“ (sagte meine Mutter) – Russland durfte es zu der Zeit nicht sein. Nach wenigen Wochen kamen die Fleischspießchen auch aus der Imbissbude, von denen es im Ruhrgebiet immer mehr gab. Bisher dominierte hier die Brat- und Bockwurst, Pommes waren erst vor Kurzem von Belgien herübergeschwappt und galten mit Mayonnaise als kulinarisches Highlight.
Nur mit Schaschlik hatte dies Fleischgericht in den Imbissbuden wenig zu tun. Da schwammen kleine Fleischstücke im Wechsel mit Zwiebeln auf einem Holzspieß in einer roten dicken Sauce, die auf jeden Fall Paprika enthielt. Ich fand das ja als Kind sehr lecker.
Viele Jahr, ja Jahrzehnte später eröffnete in meiner Nachbarschaft ein Supermarkt mit osteuropäischen Spezialitäten, Lebensmittel aus Russland, der Ukraine, Kasachstan und Regionen aus ganz Osteuropa. Neugierig ging man zum „Russen“ und war erstaunt, wie viele Wodkasorten es gab und genauso viele Sorten getrockneter oder marinierter Fisch. Das Non-Food Angebot, erinnerte vom Design her an die Fünfziger Jahre. Inzwischen sind die Non-Food Produkte aus dem Angebot verschwunden und der „Russe“ mutierte zum „Ukrainer“, offiziell jedenfalls.
Neben dem Supermarkt gab es einen Imbiss, wo mir eine ältere Dame die Welt von Pelmeni und Wareniki näherbrachte. Borschtsch und Soljanka kannte ich nur von Namen her. Leider verlief die Kommunikation im Imbiss nicht so gut. Die Dame hinter dem Tresen sprach wohl mehr Russisch, als es mein begrenzter Wortschatz vertrug. Auf jeden Fall – und jetzt zum Thema – pries sie mir gebratene Fleischstücke auf einem Metallspieß an, die ganz ohne Sauce daherkamen, aber dazu gab es wunderbar marinierte Zwiebeln. Das Fleisch war herrlich würzig, zart und saftig und hieß zu meinem Erstaunen: Schaschlik.
Schaschlik ist ein traditioneller Imbiss in turksprachigen Ländern, in Russland, dem Kaukasus und in Teilen Südosteuropas, wo sie in den Familien beim abendlichen Grillen und als Streetfood an Ständen angeboten werden. Viele der in ganz Russland verbreiteten Schaschlikrezepte stammen ursprünglich aus dem Kaukasus. Schaschlik ist in zahlreichen Varianten auch in Westeuropa bekannt geworden, wobei der Begriff oft synonym für Grillspieß allgemein verwendet wird. So gibt es auch Schaschlikrezepte mit Fisch oder nur mit Gemüse. Mein Händler bietet Lachsschaschlik an. Habe ich aber noch nie probiert.
Vorerst verließ ich mich auf die fertig marinierten Fleischstücke, bevor ich mich selbst an das Marinieren machte. Die Marinade ist das Entscheidende am russischen Schaschlik. Sie macht das Fleisch würzig und zart. Ich wollte dann das Fleisch selbst marinieren, und im Internet fand ich Erklärungen, Rezepte und viele Videoclips bei YouTube.
Ich habe mich für folgendes Rezept entschieden:
1 kg Schweinenacken, 400 g Zwiebeln (in Ringe geschnitten), 1 Dose Tomaten (aber bitte die Guten!), 1 EL Thymian, 15 g Paprikapulver, 3 g Cayennepfeffer, 4 Lorbeerblätter, 100 ml Mineralwasser, 3 EL Apfelessig, 10 g Salz und 2 TL Pfeffer
Zubereitung:
Den Schweinehals in etwa drei Zentimeter dicke Würfel schneiden.
Die Zwiebeln in Ringe und die Tomaten in kleine Stücke schneiden. Lorbeerblätter und Thymianblätter bereitstellen.
Nun die Fleischwürfel, die Tomaten und die Zwiebeln, Lorbeer, Thymian und den Essig, das Mineralwasser und die Gewürze in eine Schüssel geben und sorgfältig vermengen und durchkneten.
Die marinierten Fleischwürfel abgedeckt im Kühlschrank mindestens 24 Stunden durchziehen lassen.
Nun sollte man die Fleischstücke auf Spieße stecken und über einem offenen Feuer grillen. Ein Gas- oder Elektrogrill wären vollkommen fehl am Platz (was diese beiden Modelle immer sind). Leider besitze ich in meinem kleinen Haushalt keinen Grill und greife nun zu einem Kunstgriff.
Das Fleisch wird bei mir in der Heißluftfritteuse gegart und wird genauso knusprig. Der Optik halber schiebe ich die Fleischstücke vor dem Servieren auf Fleischspieße. Dafür sind diese aber echt, denn diese habe ich vor einigen Jahrzehnten aus dem Kaukasus mitgebracht.